Unglaublich, das Ding fliegt ja doch! Nach langer Zeit ohne eine einzige Flugminute sehe ich endlich wieder die Piste 23 unter mir durchziehen, etwas langsamer als gewohnt, und für ein paar Sekunden stellt sich wieder das lange vermisste Gefühl der Leichtigkeit ein. Die Sicht ist gigantisch - keine Cowling, keine Strebe, kein Plastikfenster stört den Blick. Aber bis dahin war es ein weiter Weg.
Während meiner UL-Ausbildung habe ich den Scheibe ULI 1 Baujahr 1983 in erbärmlichen Zustand gekauft, um ihn erstmal zur Grundüberholung bis zur letzten Schraube komplett zu zerlegen. Als Werkstatt diente unser Dachboden, wohin ich die Einzelteile mit Hilfe meiner Familie hochzerrte. Der komplette Neuaufbau dauerte anderthalb Jahre, währenddessen ich aus zeitlichen und finanziellen Gründen überhaupt nicht zum Fliegen kam, aber dafür kenne ich jetzt jede Schraube am ULI.
Null Flüge seit meinem Scheinerhalt, aber endlich bin ich fertig mit Basteln. Mein Fluglehrer, Bauprüfer und Guru Heinz hatte den ULI schon ohne mein Beisein abgenommen und probegeflogen, und langsam rückt der Tag meines Erstflugs näher.
Endlich gutes Wetter und auch Zeit - auf dem Weg zum Platz gehen mir so einige Gedanken kreuz und quer durch den Kopf:
Brauche ich eigentlich in einem offenen UL ohne Windschutzscheibe eine Brille, um überhaupt was zu sehen? Bei 80km/h stecke ich meinen Kopf aus dem Auto - es geht !
Wie fliegt man als ausschliesslich middlestick-gewohnter C42-Anfänger ein Flugzeug mit Knüppel zwischen den Beinen, und wie startet und landet man überhaupt ein Spornrad-(bzw. Schleifsporn)flugzeug? Eine Einweisung durch gründliches Studieren des mageren Betriebshandbuchs habe ich mir selbst gegeben.
Und: kann ich blutiger Anfänger nach so langer Pause überhaupt noch fliegen ??
Am Platz herrschen 6 bis12kt crosswind, gemischt mit sommerlicher Nachmittagsthermik - nicht gerade ideal für einen Erstflug. Die Flugschule hat gottseidank eine Handfunke für mich, meine hat vor ein paar Tagen den Geist aufgegeben - leider keinen passenden Headsetadapter dazu, also muss es ohne gehen. Mit heftig klopfender Pumpe mache ich den Vorflugcheck - alles in Ordnung.
Also reingesetzt - ich melde mich beim Turm an und gebe vorsorglich Bescheid, dass ich ein paar Platzrunden ohne Funkkontakt fliegen werde.
Ich rolle los, bei der zweiten 90 Grad Kehre schaffe ich es nicht, das Heck gegen den erbitterten Widerstand des Schleifsporns herumzubekommen, also abschnallen, aussteigen und den Vogel in die gewünschte Richtung ziehen - mein ULI hat als Steuerung am Boden nur das Seitenruder und auch keine Einzelradbremsen, genauer gesagt, er hat überhaupt keine Bremsen. Irgendwie komme ich am Rollhalt an und entschliesse mich zu einem Backtrack, man kann ja nie wissen, ob die 1600 m Bahnlänge in Bremgarten für selbstgrundüberholte 22PS ausreichen. Ich rolle, nein schleife neben der Bahn weitmöglichst zurück, grosse Grasbüschel bleiben am Sporn hängen, aber endlich komme ich am Bahnanfang an, noch einmal aussteigen und herumheben - schwitzend, aber jetzt bin ich endlich abflugbereit.
Also allen Mut zusammennehmen, Knüppel neutral (wo ist das eigentlich bei einem Pendelhöhenruder?), ich gebe Vollgas - der 22 PS Hirth-Pusher drückt doch ganz ordentlich, denke ich noch, als - schwupp - das Heck von alleine hochkommt - aha, so geht das! Ein bisschen Gegensteuern mit dem linken Seitenruder, und nach weiteren 20, 30 Metern hebt der am Boden schwerfällige Vogel federleicht ab und steigt mit beachtlichen 1,5m/s. Der Seitenwind drückt mich nach rechts, Gegensteuern - kein Problem. Die erste Linkskurve, alles ganz normal. Wir fliegen !
Euphorie macht sich breit, aber nur für ein paar Sekunden: hält die Verspannung, sind alle Bolzen gesichert, habe ich auch wirklich nichts übersehen ? - ein reflexartiger Blick nach links zum Auslösegriff meiner Turmrettung: wo zum Teufel ist er?? Der Griff, ein durchbohrtes Alurohr, ist nur am unteren Ende der Auslöseleine mit einem Knoten gesichert, der Fahrtwind hat ihn der Leine entlang nach oben geschoben, und er hängt nun irgendwo an der Nasenkante, gottseidank hindert ihn ein Klettband am weiteren Wandern nach oben zum unerreichbaren Turm. Ich ziehe ihn zurück und nehme für den weiteren Verlauf des Flugs die Leine zwischen die Zähne, um ein erneutes Wandern des Griffs zu verhindern.
Es bockt, im Gegenanflug hebt eine Thermikblase den rechten Flügel heftig an, leichtes Gegensteuern mit dem Querruder wie bei der C42 gewohnt - es passiert: nichts - ich muss den Knüppel doch bis zum Anschlag nach rechts reissen, um wieder in Normallage zu kommen. Nee - denke ich, ich geh lieber landen, und zwar auf Gras, da ist´s weicher. Im Queranflug angekommen, sehe ich eine Schul-C42 im Gegenanflug vorsorglich abdrehen, die wissen ja nicht, was ich vorhabe, und ich habe immer noch keinen Funk.
Stark gegensteuernd im Endteil wegen des Crosswinds, immer noch die Leine zwischen den Zähnen, drifte ich im Leerlauf mit 65 km/h auf die rettende Graspiste zu. Knapp über dem Boden ziehe ich erst leicht, dann immer stärker - was ist los ? Das Ruder hat keine Wirkung, und ich plumpse auf´s Gras. Das Pendelhöhenruder wirkt bei langsamer Geschwindigkeit kaum, wenn es nicht vom Prop angeströmt wird, also das nächste mal doch etwas schneller anfliegen.
Zurück an der Halle fragt mich Wolfram, wie es war - zum Abgewöhnen, sage ich. War nicht so erbaulich, aber immerhin ist nichts kaputtgegangen.
In den nächsten Wochen und Monaten folgten dann Flüge, bei denen ich mich an den ULI gewöhnte und auch immer mehr Vertrauen in die Konstruktion und und in meine Mechanikerkünste gewann. Immer mehr genoss ich die Vorzüge eines offenen Fliegers, die Sicht auf die Welt da unten ist fast so gut wie beim Gleitschirmfliegen, mit dem ich 1988 meine Fliegerlaufbahn begann.
Sogar ein bisschen Thermikfliegen war bei leichter Nachmittags- oder Herbstthermik durch das ganz passable Minimumsinken von 1,6m/s möglich.
Warum ich den ULI dann doch wieder verkaufte? Weiss ich nicht mehr so genau. Wahrscheinlich, weil´s nichts mehr zu Basteln gab...